Deniz, du bist Improvisationsschauspieler,
leitest Improvisationsseminare und hast einen Verein zur Unterstützung
autistischer Kinder gegründet und hast selbst einen autistischen Sohn.
Wie hast du denn gemerkt, dass das Improvisationstheater deinem Sohn
helfen kann?
Also bei meinem Sohn war es so: Der
konnte Sprache gar nicht verstehen und konnte auch keinen Blickkontakt
aufnehmen. Ich konnte ihn auch nicht berühren und bei dem Versuch ihn zu
wickeln, zu pflegen oder zu berühren hat er uns auch das Gesicht
zerkratzt. An Stelle mit ihm
spielen zu können, hat er zwölf Stunden am Tag immer nur stereotype
Bewegungen gemacht. Also eine Schüssel immer in derselben Frequenz
gedreht. Wir haben dann Gott sei Dank eine Familie in Amerika gefunden,
deren Kind in den 70er Jahren auch schwerwiegenden, frühkindlichen
Autismus hatte. Diese Familie ist dann mit so einer inneren Haltung des
„Auja’s“ auf diese Stereotypen des Kindes eingegangen. Da sind mir
sofort die Verbindungen aufgefallen zwischen dem Improvisationstheater
und der Art und Weise, wie diese Familie dem Kind geholfen hat. Es gibt
beim Improvisationstheater nur eine Empfehlung auf der Bühne und die
heißt „Auja“. D.h. jede Spielidee vom Partner zu akzeptieren, mit einem
„Ja“. Im Zweiten Schritt kommt ein neuer Aspekt hinzu: „Ja und“.
Bezogen auf den Kontakt mit meinem Sohn war das dann so, dass er
stundenlang eine Schüssel gedreht hat. Das ist also eine Spielidee, zu
der sag‘ ich „Auja“. Ich mach dann das naheliegende und nehme mir auch
eine Schüssel, setz mich daneben und drehe auch mit, voller Spaß und
Freude und versuche das magische, stimulierende oder beruhigende Element
an mir selber erfahren zu können. Weil ich „Ja“ zu seiner Idee gesagt
habe und wir über dieses gemeinsame „Schüsseln“, wie wir das dann
genannt haben, eine Beziehung, eine Vertrauensbasis aufgebaut hat,
konnte die zweite Empfehlung des Improvisierens hinzu kommen, dieses „Ja
und“. Ja, wir drehen eine
Schüssel und: „wie toll guckst du
mir denn jetzt in die Augen, „Auja“. Das ist so klasse, wie du mir in
die Augen schaust. Oh, wir haben uns gerade berührt. Oh mein Gott!“
Jeder Blickkontakt, jeder Körperkontakt, jede Interaktion, jedes Spiel,
alles kann dann gefeiert werden. Und dieses miteinander Feiern und jeden
Impuls aufnehmen und ihn „über- zu- akzeptieren“ – das lernt man beim
Improvisationstheater. Dadurch sieht es aus, als ob scheinbar aus dem
Nichts, Szenen entstehen, ganze abendfüllende Theaterstücke ohne
festgelegten Text, ohne einen Regisseur, ohne einen Dramaturgen, ohne
ein Skript. Das passiert aus diesem einzigen Grund, weil alle Spieler
„ja“ dazu sagen. „Ja“ zu ihren eigenen Ideen, zu den Ideen des Partners
und diese miteinander verbinden.
Es ist doch merkwürdig, dass dein Sohn
ausgerechnet auf eine übertrieben menschliche Reaktion reagiert. Und
das, obwohl Autisten mit menschlichen Emotionen und Einflüssen ja
normalerweise eher weniger anzufangen wissen. Wie kannst du dir das
erklären?
Das erkläre ich mir zum Beispiel über
die, für Jeden einsehbare Studien, wie das Gehirn funktioniert. So gibt
es Biofeedback für’s Gehirn zum Beispiel Neurofeedback. Und daher weiß
man, dass ein Gehirn Impulse erkennen und dann kontrollieren will. Und
wenn ich ein positives Feedback
bekomme, kommt eine Erfolgsmeldung, dann möchte ich immer mehr davon
haben. ALs mein Sohn dann irgendwann gemerkt hatte: Wenn ich meinen Papa
anschaue, dann wird der so spaßig, so freudig, das kann ich
kontrollieren. Ich kann entscheiden, ob ich ihn anschaue und er ein Lied
singt, oder nicht. Dann ist es an mir, zu entscheiden, will ich ein Lied
oder will ich kein Lied, will ich eine große
Reaktion oder will ich keine große Reaktion. Und wenn das Kind
auf den Geschmack kommt, das macht Spaß, das ist Freude, das ist Liebe,
davon möchte ich mehr, dann kann
es von sich aus entscheiden, immer mehr Blickkontakt oder
Körperkontakt aufzunehmen oder flexibel auf eine neue Situation zu
reagieren oder mit mir zu Spielen. Die Wahl liegt immer beim Kind.
Meistens hast du ja nicht die Gelegenheit mit
dem Improvisationsteam, auf das du hier triffst, vorher zu üben. Was ist
für dich dann die größere Herausforderung? Ein Publikum, von dem du
nicht weißt, wie es drauf ist, oder das Improteam, deren Spielverhalten
oder Spielgewohnheiten du nicht kennst?
Mit dem Improvisationsteam auf das ich
hier treffe aufzutreten, ist ein Kinderspiel, weil wir uns auf einen
Grundaspekt einigen, die Ebene der Akzeptanz und des Wohlwollens. Wir
müssen uns vorher nicht großartig miteinander befasst haben, um
miteinander improvisieren zu können. Interaktion ist etwas total
Normales. Wir interagieren die ganze Zeit.
Bist du denn auch im privaten Leben ein Mensch,
der Unvorhergesehenes oder Überraschungen liebt?
Nein. Nein, nein wirklich nicht. Also
ich hab‘ zum Beispiel meine Frau beim Improvisationstheater
kennengelernt. Sie hat mich auf der Bühne zuerst gesehen, oder als
Workshop Leiter, wo es um Kreativität, Spaß und Freude geht und Energie
nur so fließt. Und dann zu Hause erlebt sie so ne kleine Schlaftablette,
so nen kleinen Schlumpf, der irgendwie immer alles in denselben Abläufen
macht und sehr strukturiert und selbsterhaltend funktioniert. Nein, ich
bin privat nicht so.
Improvisieren ist ja eine Art, die kindlichen,
unbedarften Handlungen, einen Spieltrieb am Leben zu erhalten. Einem
normalen Erwachsenen wird dies meist aberzogen. Ist es denn schwer,
sozusagen die kindlichen Verhaltensweisen beim Improvisieren wieder
umzusetzen und zu erlernen?
Also Improvisationstheater ist eher ein
Prozess des Verlernens, als des Lernens. Wir verlernen die
Konditionierung abzulegen, die dazu geführt hat, dass wir irgendwann uns
immer weniger als kreativ erlebt haben. Goethe hat mal gesagt, „der
Unterschied zwischen einem Genie und einem normalen Menschen ist einzig
und allein der, dass das Genie vor dem Tor des Gehirns keine Wächter
stehen hat, die jede Idee köpft, die durchkommen möchte.“ Und so
verlernen wir, diese Wächter aufzustellen. Wir verlernen diese
Barrikaden und diese Blockierungen aufzustellen und dadurch haben wir
die Chance uns wieder als kreativ, als spontan, als flexibel und auch
als „inneres Kind“ in einem erwachsenen Körper zu erfahren. Und das gibt
dann eine ganze Menge Freude und Energie.
Das Interview führte Evelyn Hoffarth
Aufgezeichnet, vor der Benefiz-Veranstaltung
„Artists meet Autism“ am 18.12.2012 in der „Stadtmitte“ in Karlsruhe. |